Koalitionsvertrag: Verzicht auf Exportgenehmigungen?

von | 16. April 2025 | A-Z, ICP

Es ist bemerkenswert: Der Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und SPD setzt sich mit dem Außenwirtschaftsrecht auseinander und kündigt einen Paradigmenwechsel an (Rn. 291):

„Wir werden die Ausfuhrgenehmigungsprozesse vereinfachen und beschleunigen. […]
Anstelle von durchgängigen Prüfungen streben wir stichprobenartige Kontrollen […] an.
Eine vorherige Exportgenehmigung wäre nicht mehr erforderlich.

Diese Zielsetzung ist aus juristischer Sicht höchst problematisch, da sie im Widerspruch zur geltenden europäischen Rechtsordnung, insbesondere zur Verordnung (EU) 2021/821 („Dual-Use-Verordnung“) steht.

Koalitionsvertrag, Rn. 274-300

Außenwirtschaftsgesetz

„Auf nationaler Ebene wollen wir zeitnah ein novelliertes Außenwirtschaftsgesetz vorlegen.
Prüfverfahren wollen wir dabei beschleunigen, vereinfachen und besser anwendbar machen.
Ausländische Investitionen, die unseren nationalen Interessen widersprechen, in kritische
Infrastruktur und in strategisch relevanten Bereichen, wollen wir effektiv verhindern.

Als Antwort auf das geopolitisch veränderte Umfeld werden wir unsere Wirtschaftssicherheit und
Resilienz stärken. Die europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit setzen wir in einer nationalen
Strategie um. Für kritische Komponenten in unserer Infrastruktur müssen höchste
Sicherheitsanforderungen gelten. In sensiblen Bereichen der kritischen Infrastruktur dürfen
ausschließlich vertrauenswürdige Komponenten verbaut werden. Damit sich unser Mittelstand vor
Cyberangriffen besser schützen kann, braucht es Aufklärung und Unterstützung bei
Cybersicherheitsmaßnahmen. Wir werden unsere Unternehmen bei der Umsetzung des Cyber
Resilience Act unterstützen.

Die effektive nationale Umsetzung der Sanktionen aufgrund des russischen Angriffskriegs stellen wir
weiterhin sicher. Wir unterstützen die Pläne der EU zur Erhebung von Zöllen auf den Import von
Düngemitteln aus Russland und Weißrussland.

Wir werden die Ausfuhrgenehmigungsprozesse vereinfachen und beschleunigen. Unser Ziel ist ein
Paradigmenwechsel. Anstelle von durchgängigen Prüfungen streben wir stichprobenartige Kontrollen
verbunden mit empfindlichen Strafen bei Verstößen an. Eine vorherige Exportgenehmigung wäre nicht
mehr erforderlich. Wir werden die Instrumente der Außenwirtschaftsförderung strategisch ausrichten
und finanziell stärken. Die klimapolitischen Sektorleitlinien werden wir flexibilisieren. Mit der
Investorenkonferenz der Bundesregierung senden wir an innovative ausländische Unternehmen wie
auch internationale Investoren und Talente ein Willkommenssignal.

Die China-Strategie werden wir nach dem Prinzip des „De-Risking“ überarbeiten. Wir werden
im Bundestag eine Expertenkommission einsetzen, die in einem jährlichen Bericht Risiken,
Abhängigkeiten und Vulnerabilitäten in den wirtschaftlichen Beziehungen analysiert, darstellt und
Maßnahmen zum De-Risking empfiehlt.“

Hervorhebungen durch den Verfasser

Kommentar:

Der Ansatz ist bemerkenswert. Ob dieser politische Vorschlag aber gangbar ist, ist fraglich.

1. Genehmigungspflicht nach Art. 3 der Dual-Use-Verordnung

Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2021/821 normiert eine zwingende Genehmigungspflicht für die Ausfuhr gelisteter Güter:

„Für die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck […] ist eine Genehmigung erforderlich.“

Diese Bestimmung ist unmittelbar anwendbares europäisches Sekundärrecht und bindet die Mitgliedstaaten vollumfänglich (vgl. Art. 288 AEUV). Der deutsche Gesetzgeber kann diese Pflicht weder durch nationales Gesetz noch durch Verwaltungspraxis aufheben oder ersetzen. Ein Paradigmenwechsel, der die präventive Genehmigungspflicht durch reine Ex-post-Kontrollen ersetzt, unterläuft die Struktur und den Zweck der Verordnung.

2. Systematik der Exportkontrolle: Prävention statt Repression

Die Exportkontrolle ist traditionell und systematisch präventiv ausgerichtet. Sie dient der Vermeidung sicherheits-, menschenrechts- oder außenpolitisch riskanter Transfers, bevor ein solcher erfolgt. Diese präventive Schutzfunktion würde durch ein System reiner Stichprobenkontrolle fundamental in Frage gestellt.

Ein solches System würde die Kontrollesebene auf das Unternehmen verlagern und das Risiko faktisch erst nachträglich bewerten. Dies widerspricht nicht nur dem Schutzziel der Dual-Use-Verordnung, sondern auch den völkerrechtlichen Verpflichtungen aus den einschlägigen Exportkontrollregimen (z. B. Wassenaar Arrangement, MTCR, NSG), die effektive nationale Kontrollmechanismen fordern.

3. EU- und völkerrechtliche Bindungen Deutschlands

Die Europäische Union verpflichtet sich in ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), unter anderem durch den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP, zur präventiven Kontrolle von Rüstungsgütern und Dual-Use-Gütern. Auch dieser bezieht sich auf ein ex-ante-Prüfsystem.

Darüber hinaus wäre ein nationaler Verzicht auf Genehmigungspflichten europarechtlich unzulässig, da dies:

  • gegen die Einheitlichkeit des Binnenmarkts verstoßen würde,
  • den Rechtssetzungsprimat der EU in Frage stellt,
  • und ggf. ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen könnte (Art. 258 AEUV).

4. Folgen für Unternehmen und Verwaltung

Ein reines Ex-post-System würde Unternehmen einer größeren Rechtsunsicherheit aussetzen, da ihnen eine verbindliche, vorab erteilte Rechtssicherheit entfiele. Dies widerspricht dem Bestreben der Bundesregierung, Verfahren „vereinfachen“ und „besser anwendbar“ zu machen. Eine bloße stichprobenartige Überprüfung verbunden mit Sanktionen kann zudem zu einer Überkriminalisierung unternehmerischen Handelns führen, insbesondere in Fällen unbeabsichtigter Verstöße.

5. Fazit: Kein Paradigmenwechsel zulasten europäischer Grundordnung

Der geplante Verzicht auf eine vorherige Exportgenehmigung ist rechtlich fragwürdig und politisch nicht verantwortbar. Er steht im offenen Widerspruch zur geltenden europäischen Dual-Use-Verordnung und gefährdet die internationale Glaubwürdigkeit Deutschlands als verlässlicher Partner in der Exportkontrolle.

Zudem würde diese neue Struktur voraussetzen, dass Unternehmen in völliger Eigenverantwortung handeln . Dies würde ein entsprechendes ICP erfordern, für das es bislang nur Empfehlungen gibt. Gegebenenfalls müsste dieses zuvor zertifiziert werden, um dann genehmigungsfrei auszuführen. Hier erkennt man eine Parallele zum zollrechtlich Zugelassenen Ausführer und dessen Bewilligung zur vereinfachten Zollanmeldung (Art. 166 UZK).

Im Außenwirtschaftsrecht gibt es zwar bereits erste Schritte in Richtung einer Vereinfachung. So nutzen Unternehmen im Bereich der Verschlüsselung häufig die AG16. Während früher Halbjahresmeldungen an das BAFA erforderlich waren, müssen Unternehmen die Nutzung dieser Allgemeingenehmigung heute „nur“ noch intern erfassen und die Dokumentation bei einer Prüfung vorlegen (mehr). Die Halbjahresmeldung ist nicht mehr erforderlich.

Allerdings wird auch hier nicht auf eine Genehmigung verzichtet. Sie wird lediglich in den Bereich der Allgemeingenehmigung verlagert. Und gerade das übersieht der Koalitionvertrag. Bei vielen Ausfuhren ist gar keine vorherige Genehmigung erforderlich, da Allgemeingenehmigungen genutzt werden können. Und dies liegt in der Eigenverantwortung des Unternehmens.

 

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Prof. Dr. Darius O. Schindler

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